Der Stillstart ist ein ganz besonderer Abschnitt nach der Geburt. Viele frischgebackene Mamas wünschen sich einen harmonischen Beginn – gleichzeitig ist diese Phase geprägt von neuen Eindrücken, Fragen und manchmal auch Unsicherheiten.
Als Hebamme begleite ich viele Frauen genau in dieser sensiblen Anfangszeit. Und heute möchte ich dir Mut machen, dich stärken – und dir ein paar ganz praktische Tipps mitgeben.
Mein erster wichtiger Tipp:
Beschäftige dich bereits in der Schwangerschaft mit dem Thema Stillen. Denn sobald dein Baby da ist, zieht dich der Babykosmos komplett in seinen Bann – mit all seinen Emotionen, Bedürfnissen und neuen Herausforderungen. Zeit und Nerv für ausgiebiges Lesen, Podcasts oder Recherchen wirst du dann kaum noch haben.
Wenn du dich schon vorher mit dem Thema beschäftigst, entwickelst du ein erstes Gefühl dafür, wie Stillen überhaupt funktioniert – und warum es manchmal auch nicht gleich reibungslos läuft. Dieses Vorwissen hilft dir, souveräner zu reagieren – gerade dann, wenn gut gemeinte, aber verunsichernde Ratschläge von außen auf dich einprasseln.
Denn wer informiert ist, kann leichter filtern, was wirklich hilfreich ist. So schaffst du dir ein stabiles Fundament aus Wissen und Vertrauen und genau das kann dir den Start ins Stillen enorm erleichtern.
Warum die ersten Tagen so besonders sind
Mit dem ersten Hautkontakt direkt nach der Geburt beginnt eure gemeinsame Stillreise – im Kreißsaal, im Geburtshaus oder zu Hause – ganz gleich, wo du geboren hast. Diese erste Nähe nennt man Bonding. Dein Baby ist prinzipiell instinktiv in der Lage, zur Brust zu krabbeln und sich allein anzudocken. In der Regel wird euch aber tendenziell euer Baby auf oder an die Brust gelegt. Diese erste Stunde nach der Geburt – auch die „goldene Stunde“ genannt – fördert nicht nur das Stillen, sondern auch eure Bindung und die Milchbildung.
Wusstest du schon?
Die erste Milch nennt sich Kolostrum – sie ist goldgelb, reich an Antikörpern und wirkt wie ein wahrer „Zaubertrank“ und natürlicher „Booster“ fürs Immunsystem deines Babys.
Noch erstaunlicher: Dein Körper beginnt bereits zwischen der 16. / 20. Schwangerschaftswoche damit, Kolostrum zu bilden – ganz von selbst. Du musst nichts dafür tun. Dein Körper weiß, was zu tun ist.
Und noch ein schöner Fun Fact: Der Magen deines Babys ist anfangs gerade mal so groß wie eine Blaubeere – etwa 1,5 cm. Das wenige, aber hochkonzentrierte Kolostrum ist also völlig ausreichend. Gold gibt’s schließlich auch nicht in Litern.
5 Dinge, die du für einen gelungenen Stillstart tun kannst
1. Früh und häufig anlegen
Je häufiger dein Baby saugt, desto stärker wird deine Milchbildung angeregt. Denn jedes Mal, wenn euer Baby an deiner Brust trinkt, setzt ein wunderbarer Kreislauf ein. Durch das sanfte Saugen und Stimulieren deiner Brust wird das Hormon Oxytocin freigesetzt, das dafür sorgt, dass die Milch sanft fließt. Gleichzeitig wird in der Hirnanhangdrüse, der Hypophyse, vermehrt Prolaktin ausgeschüttet. Dieses Hormon sorgt dafür, dass neue, nährende Milch gebildet wird. So entsteht ein liebevoller Rhythmus, der euch beide noch enger verbindet und dich in die Milchbildung bringt. Ideal ist es, wenn du innerhalb von 24 Stunden mindestens 8–12 Mal dein Baby an der Brust anlegst und es trinken lässt.
2. Effektives Stillen beginnt mit dem richtigen Andocken
Obwohl dein Baby mit einem natürlichen Saugreflex auf die Welt kommt, muss es das Stillen trotzdem erst lernen. Es braucht Geduld, Nähe und Wiederholung. Die Zunge deines Babys bewegt sich dabei in einem sanften, wellenförmigen Muster, das nicht nur saugt, sondern das Brustgewebe massiert. Genau so wird die Milch aus der Brust gelöst – nicht durch Ziehen, wie viele denken, sondern durch rhythmisches „Melken“. (Zungenschlag)
Damit das klappt, ist es wichtig, dass dein Baby „viel Brust im Mund“ hat und nicht nur die Brustwarze! Die größte Saugwirkung entsteht dort, wo der Unterkiefer liegt. Deshalb ist ein weiter Mundschluss mit „ausgestülpten Lippen“ so entscheidend. Mit anderen Worten: Dein Baby formt mit seinem kleinen Mund einen richtig schönen Knutschmund.
Und das ist noch nicht genug: denn auch deine Brustwarzen verändern beim Stillen ihre Form: Sie werden elastischer, länger und passen sich dem kindlichen Mund perfekt an.
Wusstest du, dass sich das Stillen auch langfristig auf die Kiefer- und Gesichtsmuskulatur deines Babys auswirkt und diesen besonders trainiert? Das hat Vorteile für die Sprachentwicklung, die Zahngesundheit und sogar für die Atmung. Aber das nur am Rande.
3. Stillpositionen ausprobieren – welche Position passt zu euch?
Stillen ist ein Miteinander – darum heißt es ja auch „Still-Beziehung“ – und das beginnt schon bei der Position, in der du dein Baby anlegst. Es gibt nicht die eine richtige Stillhaltung – entscheidend ist: Ihr fühlt euch wohl, der Milchfluss funktioniert gut, und du kannst dabei möglichst entspannt bleiben.
Warum die Position so wichtig ist?
Studien zeigen: Je besser das Baby tief an der Brust liegt – also weit geöffnet, ausgestülpt und mit viel Brustgewebe im Mund – desto effektiver ist der Milchtransfer. Gleichzeitig sinkt das Risiko für wunde Brustwarzen oder Milchstau deutlich.
Wie bereits im vorangegangenen Absatz beschrieben, wirkt am Unterkiefer deines Babys die größte Saugkraft – und genau dort regt es die Brust am intensivsten zur Milchabgabe an. Durch das Wechseln der Stillpositionen kannst du also verschiedene Bereiche der Brust gleichmäßig entleeren. Das beugt Stauungen vor und regt deine Milchbildung optimal an.
Ganz gleich in welcher Position du dein Baby anlegst, achte stets darauf, dass Ohr, Schulter und Hüfte eine Linie bilden.
Welche Positionen gibt es?
- Wiegehaltung – der Klassiker: Dein Baby liegt quer vor dir im Arm
- Rückenhaltung (Football-Griff) – besonders bei Kaiserschnitt oder großen Brüsten hilfreich
- Seitenlage – wunderbar für nächtliches Stillen im Liegen
- Laid-back Breastfeeding (zurückgelehntes Stillen) – ideal in den ersten Tagen: Dein Baby liegt bäuchlings auf dir, aktiviert dabei ganz instinktiv sein Such- und Andockverhalten. Studien zeigen, dass Babys so besonders gut zur Brust finden.
Probiert euch aus. Wechselt ab. Unterstützt euch mit Stillkissen, Decken oder euren Armen. Es darf bequem sein – für euch beide. Und wenn’s mal hakt: Hol dir Unterstützung. Manchmal reicht ein kleiner Handgriff, um das Stillen viel leichter zu machen.
4. Hunger? Dein Baby sagt dir Bescheid – ganz ohne Worte!
Dein Baby zeigt dir schon ganz früh, wenn es Hunger hat – lange bevor es weint. Achte auf die leisen, feinen Zeichen: Es schmatzt oder leckt, dreht das Köpfchen suchend hin und her oder öffnet das Mündchen, als wolle es andocken. Diese frühen Hungerzeichen sind wie eine liebevolle Einladung, dein Baby anzulegen – ganz entspannt und in Ruhe.
Denn: Weinen ist das letzte Hungerzeichen und bedeutet oft schon Stress – für euch beide.
Die Hungerzeichen im Überblick:
- Schmatzen und Lippenlecken
- Suchen und Saugen
- Weinen oder Schreien
5. Stillen – natürlich, aber nicht immer einfach
Stillen gilt als etwas ganz Natürliches – und das stimmt auch. Aber nur weil es natürlich ist, heißt das noch lange nicht, dass es von Anfang an leicht ist. Gerade in den ersten Tagen kann es ganz schön herausfordernd sein: Alles ist neu, die Hormone spielen verrückt, dein Baby muss erst lernen zu trinken und du musst lernen, wie du es dabei unterstützen kannst.
Wusstest du, dass in Deutschland rund 90 % aller Erstgebärenden planen, ihr Baby zu stillen? Doch nach vier Monaten stillt nur noch etwa jede Dritte voll. Warum? Häufige Gründe sind Schmerzen beim Stillen, Sorgen um die Milchmenge, Unsicherheiten und das Gefühl, irgendwie nicht zu genügen.
Bitte vergiss nie: Das Problem bist nicht du – das Problem ist, dass wir zu oft allein damit gelassen werden.
Deshalb mein Appell an dich: Hol dir Hilfe. Ob im Krankenhaus, bei deiner Nachsorgehebamme oder einer zertifizierten Stillberaterin – das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von echter Selbstfürsorge. Du musst das nicht allein schaffen. Und schon gar nicht perfekt. Aber gemeinsam wird’s leichter.
Stillwissen ist Selbstfürsorge
Wenn du diesen Text liest, bereitest du dich gerade schon bewusst auf deine Stillzeit vor. Das ist schon ein wunderbarer erster Schritt.
Bleib neugierig, bleib liebevoll mit dir und vertrau auf dich und dein Baby.
Es gehen ganz herzliche Grüße an dich raus
Deine Romy – @hauptstadt_hebamme

Unsere Gast-Autorin
Romy Kleinert ist Hebamme in Berlin und arbeitet in einem Kreißsaal mit angeschlossener Kinderintensivstation. Parallel ist sie freiberuflich in einer gynäkologischen Praxis tätig, gibt Geburtsvorbereitungskurse und betreut Eltern vor und nach der Geburt. Außerdem hat sie das Label „Midwife-Club“ ins Leben gerufen, unter dessem Namen sie liebevoll bestickte und bedruckte Kleidung für Hebammen entwirft und verkauft. Bei Instagram ist Romy als #hauptstadt-hebamme unterwegs.
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