Du liegst eingekuschelt in der Lieblingsbettwäsche, auf deiner Brust schnauft ein kleines Wesen durch seine zarten Nasenflügel, rechts im Arm schmiegt sich dein nun großes Kind an dich und streichelt liebevoll über das Köpfchen von seinem Geschwisterchen. Blumen schmücken den Nachttisch, Glückwunschkarten baumeln wie eine kunterbunte Wimpelkette an der Schlafzimmerwand und die Sonne blitzt durch die bodenlangen gelben Gardinen hindurch und lässt diese Szene in einem goldenen Glanz erstrahlen. Die Geschwisterliebe zwischen deinen Kindern ist förmlich zu spüren und durchströmt dein Mama-Herz. So in etwa wünschst du dir dein Wochenbett mit Geschwisterkind, oder?
Ich möchte dich ungern aus deinen Träumen reißen, denn diese Momente wirst du bestimmt erleben. Aber ich möchte dir zumindest einen kleinen Ausblick geben, was dich noch erwarten könnte.
Vorbereitung ist alles – oder doch nicht?
Es gibt mittlerweile viele wunderschöne Kinderbücher, die die Geschwister auf die Zeit mit dem Baby vorbereiten. Mir gefallen besonders die, die ein authentisches Bild vermitteln: Die Wohnung wird mit Spucktüchern verziert, überall gibt es kleine Dreckwäschehäufchen, der Windeleimer quillt über und Milchflecken sind fast auf jeden Stück Stoff zu finden. Und die großen Geschwister können das Baby doof finden – und trotzdem liebhaben.
Oder das Baby ist hässlich, schrumpelig, zu laut, zu langweilig. Das alles habe ich schon erlebt, wenn ich als Mütterpflegerin die Familien in der besonderen Zeit begleiten durfte. Und das, obwohl diese tollen Bücher unzählige Male vorgelesen und angeschaut wurden. Einige besuchten auch einen richtig guten Geschwisterkurs, bei dem auf ganz spielerische Art und Weise die Zeit mit dem Baby kindgerecht vermittelt wurde. Die Vorfreude auf das, was kommt, kann dadurch groß werden. Doch die Enttäuschung bei den Erwachsenen ist dementsprechend größer, wenn das Kind sein Geschenk, das es im Kurs eigentlich für das Geschwisterchen gebastelt hatte, dann doch nicht rausrücken möchte.
Lasst euch allen Zeit
Die Reaktionen auf das Baby sind oft nicht vorauszusehen. Es gibt Kinder, die sich die gesamte Schwangerschaft nicht einmal ansatzweise für den wachsenden Bauch der Mama interessiert haben. Bauch bunt anmalen? Keine Lust! Babysachen einräumen? Nö! Und dann werden sie plötzliche diese Art Kinder, die schockverliebt stets und ständig das Baby kuscheln und abknutschen wollen.
Oder, zufällig selbst erlebt, Schulkinder, die sich ganz fürsorglich um die schwangere Mama gekümmert und mit großer Neugier jedes Ultraschallbild studiert und unzählige Bilder für das Baby gemalt haben und dann, nach anfänglicher Euphorie, das Baby zum Gähnen finden.
Das ist ein breites Spektrum an möglichen Emotionen und alle dürfen gefühlt werden. Nichts davon ist unnormal. Jedes Kind hat sich diese Zeit in seiner Welt anders ausgemalt und manche sind enttäuscht, geschockt oder überrascht und andere verliebt, überwältigt und wissen nicht wohin mit sich. Diese Gefühlsregungen können sich auch abwechseln, von jetzt auf gleich und es wird immer gute und weniger gute Phasen geben. Alles steht Kopf, nicht nur für uns Eltern, sondern eben auch für die Geschwister. So wie wir es den Erwachsenen zugestehen, dass es nicht „Liebe auf den ersten Blick“ sein muss, genauso müssen wir auch den Kindern Raum und Zeit geben, das Ganze zu verarbeiten.
„Mittendrin statt nur dabei“
Lass dein Kind das Wochenbett mit all seinen Höhen und Tief miterleben. Mach es dir und euch dabei so einfach wie möglich. Also alles, was ständig gebraucht wird, wie Windeln, Spucktücher, Stilleinlagen, Malbuch für das Geschwisterkind und natürlich Snacks und Getränke kommen ans Bett. Stell dich darauf ein, dass es etwas krümelig werden kann. Binde das große Kind mit ein, es kann die neue Windel reichen, das Wasser eingießen, dem Geschwisterchen zum Einschlafen ein Lied singen oder je nach Alter auch mal kurz ganz allein auf das Baby aufpassen. Beobachtet die beiden dabei, es könnte süß werden!
Wenn dein Kind keine Lust dazu hat, dann ist das auch in Ordnung. Dahinter steckt eventuell kein schnödes Desinteresse, sondern etwas Anderes. Viele vermissen vor allem die Exklusivzeit mit ihrer Mama. Und auch die Mamas tun das, glaub mir! Das hatte ich selbst völlig unterschätzt. Ein besonderes Mama-Kind-Date kann die Sehnsucht wieder etwas stillen: eine Runde heimlich ohne Baby die Schokolade naschen, zusammen eine Kuschelecke bauen, es sich dort gemütlich machen und über Alltägliches plaudern oder gemeinsam ein Bild malen und dabei der Lieblingshörgeschichte lauschen.
Gemeinsam Erinnerungen schaffen
Wie auch immer die ersten Tage und Wochen ablaufen, es sagt nichts darüber aus, wie sich die Beziehung zwischen den Geschwistern einmal entwickeln wird. Also zermürb dir nicht den Kopf über das Wieso, Weshalb, Warum. Nutze deine wenige Energie, die dir neben dem Klarkommen, Heilen und eventuell Stillen im Wochenbett bleibt, für das Schaffen und Festhalten von Erinnerungsmomenten (und lass dich dabei unbedingt unterstützen).
Wie wäre es mit Fußbadrücken von der ganzen Familie? Ich verspreche dir, das wird kitzelig und die Farben sind gut für dein Gemüt. Oder lass das Kind doch die Wochenbettzeit mit der Handykamera dokumentieren! Mit den später ausgedruckten Bildern darf es dann sein ganz eigenes Fotoalbum gestalten. Werdet gemeinsam kreativ, sucht euch Inspiration oder lass dich von deinem Kind beraten – Kinder haben doch manchmal die besten Einfälle!
Der Wochenbett-Kalender für Geschwisterkinder ist auch eine wunderbare Möglichkeit, den größeren Kindern diese besondere Zeit ganz kindgerecht zu vermitteln. Tag für Tag können sie das Wochenbett aktiv mitgestalten und ihr Geschwisterchen besser kennenlernen. Mit achtsamen Worten und liebevollen Illustrationen begleitet euch der Kalender, wenn ihr als Familie zusammenwachst.
Das Band wird geknüpft
Solche gemeinsamen Momente fördern das Gefühl von „Wir sind eine Familie!“ und lässt die Bindung zum Geschwisterchen ganz nebenbei stärker werden. Nach und nach knüpft sich das zarte Band, das die Geschwister auf eine besondere Weise miteinander verbindet. Aber es ist ein ewiger Prozess, sowie bei all unsere zwischenmenschlichen Beziehungen. Dazu gehören eben auch manchmal Frustration und Rückschritte. Tief einatmen, laut seufzen, weitermachen. Also viel Freude beim Zusammenwachsen!
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Unsere Gast-Autorin
Anna Pietsch hat durch die Erfahrungen in der eigenen Wochenbettzeit mit ihrem ersten Kind zu ihrem Beruf als Mütterpflegerin gefunden.
Seit 2017 durfte sie schon viele Familien während des Wochenbetts auf emotionaler Ebene begleiten und ganz praktisch im Alltag unterstützen. Dabei umsorgt sie vor allem die Mütter. Sie hört zu, trocknet Tränen und bestärkt. Zudem entlastet sie die Frauen und ihre Familien. Sie geht einkaufen, kocht Mahlzeiten und nimmt sich Zeit für das Neugeborene oder Geschwisterkinder.
Die Wochenbettzeit ist ihr heilig und sie findet es toll, ein Teil eines Netzwerks für Familien in dieser besonderen Lebensphase zu sein. Sie wünscht sich, dass das Wochenbett mehr Wertschätzung erhält. Ihre Vision: eine Wochenbettkultur. Anna findet ihr auf Instagram unter @wochenbett.kultur und @muetterpflege_leipzig oder auf ihren Webseiten www.wochenbett-kultur.de und http://www.muetterpflege-leipzig.de
Foto: Eva Marlene Etzel Fotodesign