Babyblues – die Achterbahn der Gefühle nach der Geburt 

Es ist vollbracht: Dein Baby ist da und die Freude darüber groß. Du hast es geschafft! Doch eine Geburt kann auch ihre Spuren in Körper und Seele hinterlassen und so einiges durcheinander wirbeln, was sich jedoch in den nächsten Tagen und Wochen wieder sortiert, ordnet und normalisiert. Eben dieses „Wirrwarr“ fühlt sich nach einer körperlich-emotionalen Achterbahn, dem so genannten Babyblues, an. Ungefähr 50 bis 80 % – also zirka zwei Drittel aller Schwangeren – erleben einen so genannten Babyblues. Dieser kann direkt nach der Geburt beginnen und ungefähr 10 bis 14 Tage andauern. Der Gipfel ist meist zwischen dem dritten und fünften Wochenbett-Tag erreicht. Gib dir, deinem Körper und deiner Seele Zeit, in dieser neuen Situation anzukommen. Wichtig zu wissen: Ein Babyblues ist keine Wochenbett-Depression!

Körper und Seele in der Selbstregulation

Ein Babyblues ist auf vielschichtige Ursachen zurückzuführen. Grob lassen sich diese in hormonelle, körperliche und mentale Anpassungen zusammenfassen, welche in den ersten Tagen auf die junge Mama einprasseln. Aber auch Eindrücke, die von außen einwirken, sind dabei nicht zu unterschätzen. Es handelt sich um einen physiologischen Umstellungsprozess deines Körpers und deiner Seele!

Hormonelle Umstellung

Wahrlich eine hormonelle Achterbahn In der Schwangerschaft übernimmt die Plazenta ab einem bestimmten Zeitpunkt die Produktion von Hormonen wie Östrogen und Progesteron. Im Körper einer schwangeren Frau ist beispielsweise der Östrogenspiegel zeitweise um etwa das 1.000-fache erhöht. Nach der Geburt normalisiert sich der Hormonspiegel und geht wieder zurück auf den Status „nicht schwanger“. Schwangerschaftshormone vs. Stillhormon Neben der beschriebenen hormonellen Normalisierung der Schwangerschaftshormone Östrogen und Progesteron, kommt es jedoch nach der Geburt zur Bildung eines „neuen Hormons“. Denn durch Bonding und Anlegen produziert der Körper der stillenden Mama das milchbildende Hormon Prolaktin. Dieses „Stillhormon“ wiederum steigt in rasantem Tempo im Körper an und ist für die physiologische Milchbildung verantwortlich. Eben diese rasante hormonelle Kehrtwende, verursacht im Körper ein temporäres Ungleichgewicht, was wiederum zum Babyblues führen kann. Es ist wahrlich eine hormonelle Achterbahn!

Körperliche Umstellung – „Werkseinstellung“ und „Updates“ im Körper

Der Körper ist nach der Geburt eines Babys unter anderem mit der Rückbildung der Gebärmutter beschäftigt. Diese verschwindet nach und nach wieder hinter der Symphyse. Alle umliegenden Organe, die durch den kleinen „Untermieter“ etwas von ihrer Position verdrängt wurden, dürfen nun ebenfalls wieder an ihren gewohnten Platz zurück. Vielleicht hast du bei der Geburt eine Verletzung erlitten, die versorgt wurde und nun noch abheilen muss? Außerdem gilt es sich von den Strapazen der durchaus manchmal lang dauernden Geburtsarbeit zu erholen, was nicht ganz einfach ist, weil sich auch das Thema Schlaf nach einer Geburt vollständig verändert. Und auch das Stillen, was als das Natürlichste der Welt beschrieben wird, klappt vielleicht nicht direkt auf Anhieb und bringt unter Umständen neuen körperlichen Stress mit sich. Gib dir Zeit zum Ankommen!

Mentale Umstellung – die Seele reist oft langsamer als der Körper

Man sagt, Stillen ist das Natürlichste der Welt! Aber was ist, wenn es doch nicht von Beginn an so funktioniert, wie man sich das vorgestellt hat? Es drängen sich Fragen auf wie: Habe ich genügend Milch? Geht mein Kind gut an die Brust? Kann ich mein Kind allein mit Stillen so ernähren, dass es ausreichend an Gewicht zunimmt? Und überhaupt: Bin ich eine gute Mutter? Was ist mit der neue Rolle und der Verantwortung als Eltern? Lass Dir sagen: Diese unzähligen Fragen sind legitim und normal. Und lass Dir auch sagen: Ja, Du kannst das!

Äußere Einflüsse und sozialer Druck

Man erhält unzählige Glückwünsche seiner Lieben und man solle das sogenannte Mutterglück genießen! Und auch Social Media zeigt eben dieses Mutterglück so strahlend, wach und unkompliziert. Doch was ist, wenn man eben nicht so empfindet? Was, wenn man zwischen Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt seine Gefühle nicht einordnen kann? Diese Ambivalenz der Gefühle ist anfänglich vollkommen normal. Du bist völlig okay, so wie Du bist! Es ist vollkommen in Ordnung, dass du in deiner Emotionalität innerhalb der ersten Tage zerbrechlich, aufgewühlt und sehr sensibel reagierst. So richtig weiß man nicht wohin mit seinen ganzen Emotionen – wie eine Achterbahnfahrt zwischen Tränen, Lachen und Glück. Auch Gefühle der Niedergeschlagenheit, Reizbarkeit, Ungeduld, Ängstlichkeit und Erschöpfung können Symptome sein. Hinweis: Ausgiebiges Weinen kann auch lösend wirken – also halte deine Tränen nicht zurück!

Deine SOS-Sofort-Hilfe

Es hilft, wenn du ganz viel mit deinem Baby im engen Haut-zu-Haut-Kontakt kuschelst, ruhst und versuchst, dir so viel Schlaf zu holen, wie du bekommen kann. Das kurbelt so richtig die Oxytocinproduktion an, die wiederum bindungsfördernd und wichtig für die Milchbildung ist. Und mit ganz viel Liebe im Gepäck heben sich auch Stimmung und Glücksgefühle. Versucht euch in eurem Zuhause buchstäblich “einzuigeln“ und möglichst wenig Besuch zu empfangen. Es dürfen nur die zu Besuch kommen, die euch wirklich gut tun! Spüre, höre und fühle in Dich hinein: Vielleicht ruft dein Körper nach Selbstfürsorge? Als Idee: Gönne dir ein wärmendes Bad oder eine ausgiebige Dusche, während dein Partner oder deine Partnerin auf euer Baby aufpasst. Im Anschluss pflegst du dich mit wohlduftenden, pflegenden Ölen, wie zum Beispiel mit wärmenden, lichtbringenden Zitrusaromen. Vielleicht hattest du ja bereits in der Schwangerschaft ein dir wohltuenden Ritual, was du nun auch anwenden kannst? Zudem hilft natürlich auch leckeres Essen oder dein Lieblingskuchen als Seelenwärmer!
Das Motto zur Selbsthilfe lautet: Suche das Gespräch mit deiner Hebamme oder deiner besten Freundin, mit der Familie, mit einem dir vertrauten Menschen und berichte noch einmal über deine Geburt und erzähle von deinen Eindrücken und Erlebnissen. Sei offen und beschreibe auch deinem Partner oder deiner Partnerin deine Gefühle. Frag deine Hebamme nach Unterstützung durch eine Haushaltshilfe oder lasst euch von guten Freunde oder der Familie bei den täglichen Pflichten unter die Arme greifen.

Risikofaktoren für einen Babyblues

Jeder bringt sein ganz eigenes Paket mit. Natürlich gibt es Faktoren, die einen Babyblues begünstigen. Zum Beispiel dein persönliches Erleben deiner Geburt und geburtsbegleitende Ereignisse, wie ein möglicherweise erhöhter Blutverlust oder eine Geburtsverletzung? Wie fällt die Unterstützung und auch das Miteinander mit dem Partner oder der Partnerin im frühen Wochenbett aus? Gibt es Stillherausforderungen? Oder war die Geburt eventuell etwas zu früh? Hat man ein gesundes oder krankes Neugeborenes zur Welt gebracht? Wichtig ist: Sprich mit deiner Hebamme und/oder einer dir vertrauten Herzens-Person!

Babyblues oder Wochenbett-Depression?

Worin liegt der Unterschied? Ein Babyblues ist keine Wochenbett-Depression! Während ein Babyblues physiologische Ursachen hat, wie hier im Verlauf beschrieben, handelt es sich bei der Wochenbett-Depression um eine psychische Erkrankung, die im besten Fall ärztlicher Begleitung bedarf. Im Gegensatz zum Babyblues, zeigt sich eine Wochenbett-Depression in andauernder gedrückter, trauriger oder sehr schwermütiger Stimmung, die von Angst, Unruhe oder innere Gleichgültigkeit begleitet sein kann. Sehr vereinfacht beschrieben: Ein Babyblues äußert sich in einem Auf und Ab der Gefühle, wohingegen sich eine Wochenbett-Depression dumpf, taub und gefühllos anfühlt.

Screening-Instrument: EPDS (Edinburgh Postnatal Depression Scale)

Die Edinburgh Postnatal Depression Scale ist ein international anerkanntes Screening-Instrument, der mittels zehn Fragen und jeweils vier Antwortmöglichkeiten einen Score zur Einschätzung der Stimmungslage ermittelt. Die Entwickler dieses Fragebogens empfehlen diesen im ersten Jahr nach der Geburt mehrfach mit einem Mindestabstand von zwei Wochen auszufüllen. Er findet aber auch bereits in der Schwangerschaft Anwendung. Die Edinburgh-Postnatal-Depression-Scale nach Cox, Holden & Sargovsky (1987) ermöglicht dir nur eine erste Einschätzung, er ersetzt keinesfalls eine ärztliche Diagnose. Im Zweifel solltest du dich immer an deinen Arzt wenden! Den Fragebogen findest auf verschiedenen Seiten im Internet.

 

Abschließend ist es wichtig zu betonen, dass der Babyblues eine normale Reaktion auf die vielen Veränderungen nach der Geburt eines Kindes ist. Es ist entscheidend, sich selbst Zeit zu geben, sich Unterstützung zu holen und offen über seine Gefühle zu sprechen. Denn nur so kann man den Babyblues überwinden und gestärkt aus dieser Phase hervorgehen.

Unsere Gast-Autorin

Romy Kleinert ist Hebamme in Berlin und arbeitet in einem Kreißsaal mit angeschlossener Kinderintensivstation. Parallel ist sie freiberuflich in einer gynäkologischen Praxis tätig, gibt Geburtsvorbereitungskurse und betreut Eltern vor und nach der Geburt. Außerdem hat sie das Label „Midwife-Club“ ins Leben gerufen, unter dessem Namen sie liebevoll bestickte und bedruckte Kleidung für Hebammen entwirft und verkauft. Bei Instagram ist Romy als #hauptstadt-hebamme unterwegs.

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