Eine Lanze für den Kaiserschnitt!

Ich bin wütend.

Wütend über die zu großen Teilen eindimensionale und kurzsichtige Berichterstattung über den Kaiserschnitt in den breiten Medien. Wütend über die Schuld und das schlechte Gewissen, das Frauen auferlegt wird. Wütend über die ignorante Selbstherrlichkeit und das “Ich-weiß-alles-besser”, über das Verhalten einiger Frauen, die andere Frauen und ihre Geburten auf diese Weise herabsetzen.

Das möchte ich so nicht stehen lassen!

Aber erstmal von vorne: 1.900 Geburten täglich, davon jede dritte per Kaiserschnitt. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland täglich rund 1.900 Kinder geboren. Ungefähr 630 Babys davon per Kaiserschnitt – das sind ca. 33 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 1990 lag die Rate noch bei rund 15 % (vgl. statistisches Bundesamt).

Was ist seitdem passiert? Darum steigt die Kaiserschnittrate: Der Anstieg wird von Fachpersonal (manche davon leider selbsternannt), Medien und Politik kritisch aufgenommen. Der Kaiserschnitt sei ein Symptom eines Systems, das Frauen nicht ausreichend unterstütze, eine vaginale Geburt versuchen zu wollen. Die Gründe seien also struktureller Natur: Tatsächlich sinkt die Zahl der geburtshilflichen Kliniken in Deutschland stetig. Die Wege zu den Kliniken werden weiter, was die terminliche Planbarkeit eines Kaiserschnittes attraktiver mache.

Im Frühjahr konnten wir bei den Verhandlungen rund um den neuen Hebammen-Hilfe-Vertrag wieder einmal in aller Deutlichkeit sehen: Hebammen arbeiten unter prekären Bedingungen. Eine 1:1- Betreuung während der Schwangerschaft und unter der vaginalen Geburt ist in weiten Teilen Deutschlands mittlerweile leider absolut illusorisch.

Erschreckend? Ja verdammt! Aufgrund der politischen Rahmenbedingungen für den Berufsstand aber nicht sonderlich überraschend, oder? Weiter wird argumentiert, dass das vorschnelle Befürworten oder Drängen zum Kaiserschnitt ohne absolute medizinische Indikation, rein finanzielle Gründe hätte. Krankenhäuser verdienen an einem Kaiserschnitt einfach mehr, außerdem könne man so das Personal besser planen. Immer wieder tauchen im Internet am Rande des Geschehens sogar Verschwörungstheorien auf. Kürzlich z.B.: Frauen würden zum Kaiserschnitt gedrängt, weil die Krankenhäuser heimlich die Stammzellen aus der Plazenta gewinnen wollen würden.

Oberflächliche Aufklärung und unzureichende individuelle Betreuung in der Geburtsplanung löse bei werdenden Müttern große Unsicherheiten bzgl. der vaginalen Geburt aus und mache sie empfänglicher für einen Kaiserschnitt. Darüber hinaus können Gewalt im Kreißsaal und unzureichende individuelle Risikobewertung unter dem Geburtsverlauf oft zu Notkaiserschnitten führen, die die Rate zusätzlich weiter in die Höhe treiben.

Ja! In all diesen Punkten, muss sich dringend etwas ändern und ich bin wirklich von Herzen dankbar für jede Person, die hier Veränderung schafft – sei es systemisch oder im persönlichen Kontakt mit werdenden Müttern und Eltern. Aber… Ist das wirklich alles?

Die Debatte muss sich weiterentwickeln

Mir geht es in diesem Artikel nicht um Schuldzuweisung oder die Folgen des systemischen Versagens, sondern um eine längst überfällige Weiterentwicklung der Auseinandersetzung. Nämlich um das Bild des Kaiserschnitts als vermeintlich schlechtere Geburt in der Gesellschaft.

Warum wird der Kaiserschnitt überhaupt so kritisch gesehen?

Ein Kaiserschnitt, so sagt man, sei kein guter Start ins Leben: Kaiserschnitt-Kinder hätten es schwerer Bindung aufzubauen und seien deutlich anfälliger für diverse Krankheiten. Mütter würden den leichteren Weg wählen und sich ihr Baby einfach rausschneiden lassen. Die Geburt sei nicht echt – Frau hat versagt. Vaginal gebären, gehöre nun mal dazu und sei der einzig richtige Weg. Frau sei nur eine gute Mutter, wenn sie ihr Kind unter Schmerzen auf die Welt presse – das sei natürlich. Spoileralarm: Das ist alles Bullshit.

Eine hässliche Wahrheit: internalisierte Misogynie

Diese und unzählige andere negative Überzeugungen halten sich hartnäckig in öffentlichenund privaten Gesprächen und weißt du was? Das ist internalisierte Frauenfeindlichkeit.

Ein patriarchales Erbe, das den weiblichen Körper nur dann ehrt, wenn er “angemessen” leidet. Aber nicht, wenn er von der Norm der “vaginalen Geburt” abweicht oder, Gott bewahre, sich sogar selbstbestimmt dagegen entscheidet.

Was hier passiert, ist ein übles Gemisch aus Mom Shaming, Schuldzuweisung, Leistungsdruck und einem lächerlich generischen Weiblichkeitsideal, das “erfolgreiche” Geburt mit patriarchalischer Norm und Schmerz gleichsetzt. Ich finde das Schlimmste daranist, dass es sich in den allermeisten Fällen von Frauen gegen Frauen richtet und das auch noch in einem Lebensbereich, in dem Frauen endlich mal die Vorherrschaft haben. Darüber bin ich sprachlos und zutiefst betroffen.

Die Macht der negativen Erzählung

Hinzu kommt: Der öffentliche Diskurs über den Kaiserschnitt ist meiner Meinung nach stark von den Erfahrungen und dem Erleben von Notkaiserschnitten geprägt – gleichbedeutend mit Traumatisierung, dem Gefühl, die Kontrolle zu verlieren und einer Geburt, die ein Notfall war anstatt ein schöner Start ins Leben.

Das ist für diese betroffenen Mütter verdammt real! Und es ist unfassbar tragisch! Mein Mamaherz blutet und es tut mir bei jedem dieser persönlichen Schicksale und berührenden Geschichten in der Seele weh. Trotzdem ist diese Darstellung nicht die ganze Wahrheit über einen Kaiserschnitt.

Was nämlich oft vergessen wird – Stichwort Systemversagen: Bei den meisten Notkaiserschnitten hat das Versagen bereits vor der lebensrettenden OP für Mama und Baby stattgefunden. Und zwar von ärztlicher Seite, die einen erschwerten Geburtsverlauf nicht ernst genug genommen oder Komplikationen nicht zeitig genug erkannt und eingeordnet hat. Trotzdem steht der Kaiserschnitt dann als prominentes Bild am Ende einer langen und traumatisierenden Geburtsreise, die sich anders gewünscht wurde und auf deren Ausgang man mental und praktisch in keiner Weise vorbereitet war. Die negativen Auswirkungen klingen verständlicher weise lange nach. Davon wird erzählt.

Du kennst das von Google Bewertungen: Es ist leicht, sich zu beschweren, wenn etwasschiefläuft. Wie oft lobst du aber aktiv, wenn es einfach mal gut gelaufen ist? Eben.

Der Kaiserschnitt als Stigma

Und genau jetzt entsteht das Stigma des Kaiserschnittes in der Gesellschaft. Ein verzerrtes Bild. Zusammengesetzt aus internalisierter Misogynie, vorherrschender negativer Berichterstattung über ungeplante und unvorbereitete operative Eingriffe, unreflektierten Ängsten und uninformierten Annahmen rund um die medizinischen und psychischen Risiken, die ein Kaiserschnitt mit sich bringt.

Der geplante Kaiserschnitt – vor allem aber der Wunschkaiserschnitt – mit all seinen Vorzügen und Chancen spielt hierbei keine Rolle. Er gilt sogar als eines der größten Tabus.Wenn überhaupt, dann darf man ihn haben, weil “medizinisch notwendig”. Aber bitte nicht, weil man sich bewusst dafür entscheidet – das wird nach wie vor als egoistisch, feige und unnatürlich bewertet.

Hier zeigt sich einmal mehr Unwissen und / oder die große Ignoranz in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Die Wahl für einen Kaiserschnitt ist weder feige, noch egoistisch. Sie ist…

… ein Ausdruck von Fürsorge für das eigene Leben und das des Kindes

… eine reflektierte Entscheidung auf Augenhöhe mit der Medizin

… eine bewusste Entscheidung für Sicherheit und körperlicher und seelischer Integrität

… genau so weiblich, kraftvoll und legitim wie eine vaginale Geburt

Denn mit entsprechender Vorbereitung & Begleitung können die medizinischen & mentalen Risiken einer geplanten Kaiserschnittgeburt so abgefedert werden, dass sie dem positiven Erleben einer gut vorbereiteten vaginalen Geburt in nichts nachsteht. Die Risiken und Herausforderungen sind schlichtweg andere und deshalb muss man sich auch anders vorbereiten!

Die Auseinandersetzung neu denken

Ich fasse es dir noch einmal zusammen: Die Diskussion um die Kaiserschnittrate ist geprägt von der gerechtfertigten Sezierung systemischen Versagens aber auch von trockenen Zahlen, Kosten und verschiedenen frauenfeindlichen Narrativen. Was fehlt? Faktor Mensch:

Die Frau. Ihre Entscheidung. Ihre Würde. Ihre Selbstbestimmung.

Es sollte nicht hauptsächlich darum gehen, dass die Kaiserschnittrate zu hoch ist oder warum sie steigt und wie man das ändern kann, sondern vor allem auch darum, wie wir mit der Entscheidung für einen Kaiserschnitt umgehen.

Fortschritt sieht anders aus. Oder doch genau so?

Mich beschleicht das Gefühl, dass die ganze Aufregung nämlich weniger mit dem Kaiserschnitt selbst zu tun hat, als mit dem, was er symbolisiert:

Veränderung. Fortschritt. Selbstermächtigung?

Vielleicht ist der Anstieg der Quote ja auch darin begründet, dass Frauen sich heutzutage anders aufstellen. Dass sie ihr Mindset verändern. Dass sie informierter sind, vernetzter, kritischer und selbstbestimmter als noch in den 1990ern. Sie akzeptieren nicht mehr alles und sie entscheiden selbst. Und das passt vielen nicht – egal bei welcher Geburtsform.

Genau das macht Angst. Nicht den Frauen, sondern dem System.

Veränderung und Fortschritt können sich nach Kontrollverlust anfühlen – Und Geburt war lange ein System der Kontrolle über Frauen. Das beste Beispiel: Geburt in Rückenlage, weil es einfacher für den Arzt war. Ernsthaft?!

Es geht um Würde und Wahlfreiheit

Statt also über die Höhe** der Rate** zu diskutieren, sollten wir uns endlich fragen: Wie können wir Frauen und Familien, die sich – aus welchen Gründen auch immer – für einen geplanten Kaiserschnitt entscheiden, bestmöglichbegleiten?

Ganzheitliche Vorbereitung auf einen geplanten Kaiserschnitt ist meist ein blinder Fleck in vielen gängigen Gruppen-Geburtsvorbereitungskursen. Oft gerade mal 5 Minuten wert. Aber nur zu Informieren reicht nicht aus. Frauen, die vaginal gebären wollen, werden nicht ausreichend auf “Plan B” vorbereitet und Frauen, die auf jeden Fall einen Kaiserschnitt planen, werden in 5 Minuten erst recht nicht abgeholt. Dabei haben auch sie (und ihre Partner:innen) es verdient, genau so umfassend, professionell, empathisch und vor allem genauso selbstverständlich auf ihre Geburtvorbereitet zu werden.

Fortschritt in der Geburtshilfe bedeutet nicht nur technische und medizinische Neuerungen, sondern Respekt, Wahlfreiheit, objektive und umfassende Aufklärung und vor allem eins:

Akzeptanz!

Ja, ein Kaiserschnitt ist ein großer operativer Eingriff. Und ja, auf so etwas muss man sich vorbereiten! Aber eben anders. Ein Kaiserschnitt ist sicherlich nicht “the easy way out”, aber in unseren Breitengraden eine sehr sichere Geburtsform. Mit der richtigen Vorbereitung kanner sogar heilsam, intim und stärkend sein.

Der Mythos von der natürlichen Geburt

In wenigen anderen Bereichen wird so stark romantisiert wie in der Geburtsbubble. Die vaginale Geburt wird glorifiziert, gilt als heiliger Gral weiblicher Erfüllung. Weil es schon immer so war. Weil es unsere natürliche biologische Bestimmung sei, dabei verlaufen nur knapp 10-15 % der vaginalen Geburten komplett “natürlich” und ohne äußeres Eingreifen. Heute gilt das Maß der Schmerzen nicht mehr als Gradmesser unserer Mutterqualitäten.

Zum Glück gibt es Möglichkeiten der Intervention, die die Gesundheit von Mutter und Kind schützen. Zum Glück gibt es Optionen wie den Kaiserschnitt, der auch viele Vorteile mit sich bringt. Zum Glück ist auch Stillen keine Überlebens-Notwendigkeit mehr. Geburt muss nicht mehr heroisch und aufopfernd sein, um wertvoll zu sein.

Zum Schluss…

Es geht mir auf keinen Fall darum, den Kaiserschnitt als “besseren” Geburtsweg darzustellen. Sondern darum, ihn als gleichwertige Option zu betrachten. Es gibt nicht die richtige Geburt für alle – es gibt deine Geburt. Und diesen Weg kannst du nur wählen, wenn du ehrlich, neutral und vollumfänglich über alle Möglichkeiten beider Geburtswege aufgeklärt wurdest – mit allen Risiken und Chancen.Wenn du dich dann für eine vaginale Geburt entscheidest: Gut so!

Wenn du dich für einen geplanten Kaiserschnitt entscheidest: Gut so! Und auch wenn dein Kaiserschnitt medizinisch absolut indiziert ist:

Du bist nicht weniger Mutter. Nicht weniger Frau. Sondern genau richtig.

Mit Kaiserschnitt.

Kaisermom begleitet dich auf deiner persönlichen Reise zum geplanten Kaiserschnitt: Beim Treffen der Entscheidung, beim Durchsetzen deiner Entscheidung oder beim Akzeptieren der Entscheidung – und bietet dir ganzheitliche mentale und praktische Vorbereitung für die Zeit davor, währenddessen und danach. Für dich. Für dein Baby. Für eure Gesundheit und eure Geburt.

Dein Kaiserschnitt kann vieles sein…

… ein sicherer Weg für dich und dein Kind

… ein Akt der Selbstermächtigung

… eine Erleichterung durch Planbarkeit

… eine bewusste Entscheidung gegen Ängste und Trauma aus dem Kreißsaal

… eine Auflehnung gegen patriarchale Normen

… ein medizinischer Segen in einem sonst risikoreichen Verlauf

… eine kraftvolle, intime Geburt – auch ohne Wehen und Dammriss

Egal, was er für dich ist, er darf es sein.

Und wenn du jetzt auch ein bisschen wütend bist – gut! Denn Wut will zu Kraft werden. Und diese Kraft brauchen wir für eine moderne Geburtskultur auf Augenhöhe, in der du mitbestimmt. Du bist nicht allein.

Über unsere Gastautorin

Hanna ist die Gründerin von Kaisermom, einer Plattform, die Frauen rund um den geplanten Kaiserschnitt begleitet, vorbereitet, aufklärt und stärkt. Als Mama eines Sohnes, der per Wunschkaiserschnitt zur Welt kam, kennt sie die Fragen, Unsicherheiten und Vorurteile, mit denen viele Frauen mit geplantem Kaiserschnitt konfrontiert sind, aus eigener Erfahrung.

Ihre persönliche Geschichte wurde zum Antrieb: Sie gründete Kaisermom mit dem Ziel, den Kaiserschnitt aus der Tabuzone zu holen und als gleichwertige, selbstbestimmte Geburtsform sichtbar zu machen.Mit klarer Haltung, viel Herzblut und einem feministischen Blick auf Geburt und Mutterschaft entwickelt Hanna Onlinekurse, Produkte und Inhalte, die Frauen empowern, sich medizinisch fundiert, psychologisch durchdacht und mit echtem Verständnis für die Realität eines Kaiserschnittes auf ihre geplante Geburt durch den Bauch vorzubereiten.

Kaisermom steht für eine moderne Geburtskultur: Eine, in der jede Frau ihren eigenen Weg gehen darf – frei von Scham, frei von Druck und vor allem gut vorbereitet und gut begleitet.

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